Stolpersteine für Familie Meyerstein (Rote Straße 16)
Stolpersteine für Familie Meyerstein (Rosa, Siegfried, Herbert)
und Johanna Gans
Rote Straße 16
verlegt am 10. Februar 2016
Siegfried Meyerstein wurde am 15. Juni 1888 als Sohn von Magnus-Levy Meyerstein und Bertha Kaufmann in Bremke geboren. Im Jahr 1913 kam er mit seiner Familie nach Göttingen; 1917 zog die Familie in das Haus Rote Straße 16 ein. Siegfried heiratete 1919 die aus Rotenburg stammende Rosa Gans, die, so wie er, 1888 geboren wurde. Zusammen hatten die beiden zwei Kinder, Heinz und Herbert, die 1920 und 1922 geboren wurden.
Siegfried übernahm 1925 zusammen mit seinem Bruder die Viehhandlung des Vaters in der Mauerstraße 8. Die Weltwirtschaftskrise führte die Firma in den Ruin. Siegfried und Hugo mussten 1931 den Betrieb schließen.
Im Alter von 42 Jahren versuchte Siegfried mit der „Viehhandlung Rosa Meyerstein“, die zwar auf den Namen seiner Frau läuft, aber de facto von ihm geleitet wird, einen Neuanfang. Die finanzielle Lage der Familie blieb nach wie vor prekär. Rosa Meyerstein begann ab Ende 1931 aus der Not heraus, mit Haushaltswaren wie Waschmitteln zu handeln. Auch die Viehhandlung Rosa Meyerstein musste 1935 finanziellen Gründen schließen.
Um den Unterhalt der Familie zu sichern, arbeitete Siegfried ab 1936 in verschiedenen Göttinger Baufirmen. Der Hauswarenhandel von Rosa Meyerstein blieb andauernd wichtig. Ende 1938 trat das Allgemeine Berufsverbot für Juden in Kraft und Rosa musste ihre Geschäfte aufgeben.
Siegfried Meyerstein wurde im Zuge der Pogrommnacht vom 9./10. November 1938 verhaftet und kam erst nach mehreren Wochen frei. Ab dem Jahr 1939 musste Siegfried Zwangsarbeit leisten. Zu dieser Zeit ist die Familie Meyerstein aufgrund ihrer großen Not bereits auf Lebensmittelpakete ihres Sohnes Heinz angewiesen. Anfang des Jahres 1941 verlor die Familie ihre Wohnung in der Roten Straße und war gezwungen, zunächst in die Hospitalstraße 4 und dann in das Gemeinde-Wohnhaus in die Obere-Masch-Straße 10 zu ziehen.
Am 26. März 1942 wurden Siegfried und Rosa zusammen mit ihrer Schwester Johanna Gans in das Sammellager Hannover-Ahlem gebracht und von dort aus über das Durchgangslager Trawniki in das Warschauer Ghetto deportiert. Sie gelten als verschollen. Wahrscheinlich wurden sie in Treblinka ermordet. Nach dem Krieg wurden Rosa und Siegfried Meyerstein für tot erklärt.
Herbert Meyerstein wurde am 12. Juni 1922 hier in Göttingen geboren und wohnte mit seinem zwei Jahre älteren Bruder Heinz Meyerstein, seinem Vater Siegfried Meyerstein und seiner Mutter Rosa Meyerstein, die als Rosa Gans geboren wurde, in der Roten Straße Nr. 16. Wie sein älterer Bruder besuchte Herbert Meyerstein die Voigt-Realschule und musste sie ca. 1934 zusammen mit Heinz aufgrund des dort herrschenden antisemitischen Klimas ohne Abschluss verlassen. Ab Mitte der dreißiger Jahre begann er im Alter von 13 Jahren eine kaufmännische Lehre bei der jüdischen Firma Schloss, die er nach der Pogromnacht im November 1938 abbrechen musste. Bereits ab 1933 erschwerte sich die finanzielle Situation der Familie, da Boykotte des jüdischen Viehhandels zunahmen. 1935 gaben sie den Viehhandel endgültig auf. Ab dem allgemeinen Berufsverbot 1938 war sowohl die neue Arbeit Siegfried Meyersteins als Bauarbeiter, als auch der Haushaltswarenhandel von Herberts Mutter verboten.
Nach der Pogromnacht, in deren Zug Herberts Vater verhaftet wurde, lebte der sechzehnjährige Herbert zunächst mit seiner Mutter allein zusammen. Der Lebensunterhalt wurde durch kurzfristige schwere Arbeiten, die Herbert annahm, bzw. von den Lebensmittelpaketen des in die Niederlande emigrierten Bruders Heinz gesichert. So arbeitete Herbert gegen Ende des Jahres 1938 noch einige Wochen bei der Tiefbaufirma August Drege. Mit Hilfe seines Bruders verließ er Deutschland am 20. Juni 1939 endgültig und flüchtete mit gerade einmal 17 Jahren in die Niederlande.
Herbert lebte zunächst in Deventer bei einem Bauern, schließlich aber in Amsterdam bei einer jüdischen Familie. Am 15. Juli 1942 kam der Befehl zur Deportation aller holländischen Juden nach Polen. Herbert wurde nach Auschwitz deportiert. Aus Solidarität wollte sein Bruder Heinz ihn zunächst freiwillig begleiten, allerdings riet ihm sein nächstes Umfeld davon ab, da er nichts bewirken könne.
Am 29. August 1942, im selben Jahr in dem man seine Eltern ins Warschauer Ghetto deportierte, wurde Herbert im Alter von 20 Jahren in Auschwitz ermordet.
Johanna Gans wird am 15. August 1890 als Tochter des Schlossermeisters Cappel Gans und seiner Frau Hedwig in Rotenburg an der Fulda geboren. Sie hat zwei ältere Geschwister, Willi und Rosa Gans. Fast 48 Jahre lang lebt sie unverheiratet zusammen mit ihrer Mutter in ihrer Heimatstadt, wo sie als Näherin tätig ist. Johanna wird Zeitzeugin des Ersten Weltkriegs, der Weimarer Republik und der sogenannten „Machtergreifung“ 1933. Im September 1938 stirbt ihr Vater. Am 9. November desselben Jahres erlebt sie die in Rotenburg besonders massiven Ausschreitungen gegen die Juden mit, muss mit ansehen, wie ihr Haus geplündert und zerstört wird, wie das Leben, das sie sich aufgebaut hat, in sich zusammenfällt.
Johanna und ihre Mutter fliehen zusammen mit Johannas Tante, Karoline Piterson, im Dezember 1938 nach Göttingen, wo sie bei Johannas Schwester Rosa Meyerstein und ihrem Mann Siegfried in deren Wohnung in der Roten Straße 16 unterkommen.
Dort leben sie auf engstem Raum von einem geringen Einkommen, bis sie im Mai 1939 in das jüdische Gemeindehaus in der Weender Landstraße 26 eingewiesen werden, wo Hedwig am 6. April 1942 verstirbt. Den Tod ihrer Mutter erlebt Johanna allerdings nicht mehr mit, da sie bereits am 26. März desselben Jahres, zusammen mit ihrer Schwester Rosa und ihrem Schwager Siegfried, über Hannover-Ahlem und das Durchgangslager Trawniki in das Warschauer Ghetto deportiert wird. Von dort aus bringt man Johanna Gans noch im selben Jahr in das Vernichtungslager Treblinka. Nach dem Zweiten Weltkrieg wird sie für tot erklärt.
(Text: Schüler/innen des Theodor-Heuss-Gymnasiums (THG) Göttingen, 10. Februar 2016)